Denkmaltopographie

 Dipl. Ethn. Irmelin Küttner, Berlin im April 2014

Die Denkmaltopographie der Bundesrepublik Deutschland als kulturgeschichtliches Großunternehmen

Veröffentlichung BHU im April 2014
Veröffentlichung BHU im April 2014

Die staatliche Denkmalpflege hat seit Beginn ihrer Tätigkeit im 19. Jahrhundert die wissenschaftliche Erfassung von Denkmalen, ihre Erforschung und Bekanntmachung als Voraussetzung für fachkundige Erhaltungsmaßnahmen und einen gezielten  Denkmalschutz erachtet. Das Großunternehmen „Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland“ setzt neben den Großinventaren und dem Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler Georg Dehios die Tradition fort.

Im DIN-A 4–Format entstand eine Buchreihe, die auf Beschluss der Ständigen Konferenz der Kulturminister vom 28. Mai 1980 zustande kam mit der Zielstellung einer flächendeckenden Dokumentation des baulichen Erbes und Denkmalbestandes in Deutschland. Der Publikation wurden länderübergreifend einheitliche Bewertungskriterien in den Richtlinien der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger, Arbeitsgruppe Inventarisation, von 1981 zugrunde gelegt. Es geht um eine sachlich und wissenschaftlich fundierte Präsentation von Bau-, Kunst- und Gartendenkmalen als Flächen- und Einzeldenkmale in den Städten und Landkreisen in Text, Bild- und Kartenmaterial.

Vor dreißig Jahren wurden für die in Westdeutschland bekannten 150 000 Denkmale fünfzig Topographiebände veranschlagt. Inzwischen beträgt die Zahl der in Denkmallisten erfassten Objekte in ganz Deutschland über 800 000. Aufgrund unterschiedlicher Zählweisen werden sogar eine Million Kulturdenkmale angenommen – das entspricht weniger als 4 Prozent des vorhandenen Gebäudebestandes. Inzwischen liegen, gleichartig aufgemacht, zweihundert Bände mit jeweils drei- bis fünfhundert Seitenumfang vor. In den nächsten Jahren wird mit weiteren hundert Veröffentlichungen gerechnet. Die ersten Bände des in Europa beispiellosen Standardwerkes erschienen 1981 und 1982 in Bremen, Hessen und Niedersachsen.

Die Denkmaltopographien tragen angesichts des erweiterten Gegenstandsbereichs des Denkmalbegriffs zur Neubewertung des Denkmalbestandes bei. Sie reflektieren die Vielfalt und Komplexität urbaner und sozialgeschichtlicher Entwicklungsprozesse in den baulichen Überlieferungen. Vernachlässigte Baugattungen, zum Beispiel Gründerzeitviertel, Siedlungen des 19. und 20. Jahrhunderts, Wohngebäude sämtlicher sozialen Schichten in der Geschichte, insbesondere Kleinbürger- und Handwerkerhäuser, Bauern- und Arbeiterhäuser, sowie Bauten der Verwatung, Fürsorge, Bildung, Kultur und Freizeit, Zeugnisse von Handel, Gewerbe und Landwirtschaft, Industrie- und Verkehrsanlagen, Mahn- und Gedenkstätten, Gärten, Friedhöfe und Alleen finden in Denkmalschutz und Denkmalpflege stärkere Berücksichtigung.

Die Landesämter für Denkmalpflege, Dezernate Inventarisation, haben auf der Grundlage der Neuordnung bzw. Novellierung der Denkmalschutzgesetze seit den 1970er Jahren für die Erarbeitung der Denkmaltopographien verschiedene Konzeptionen der Veranschaulichung des Denkmalbestandes in den Regionen nach Art, Verteilung und strukturellen Beziehungen entwickelt. Die historisch-topografische Methode ermöglicht Varianten der Darstellung von Zusammenhängen zwischen den örtlich-räumlichen und landschaftlichen Gegebenheiten sowie sozial-, wirtschafts-, kunsthistorischen und volkskundlichen Entwicklungslinien in Verbindung mit Siedlungsstrukturen, Haus- und Hofformen.

Der Katalog der Denkmale und denkmalwerten Bausubstanz stellt den Hauptteil jeder Denkmaltopographie dar. Nach systematischer, wissenschaftlicher Erfassungsarbeit der Objekte in den Territorien erfolgen in Fließ- und Einzeltexten – entsprechend dem Bedeutungsgrad der Bauwerke – Beschreibungen und Bewertungen von Gesamtanlagen (Stadt- und Dorfkerne, Ortsbilder, Freiräume), Ensembles und Einzeldenkmalen mit Kurzbegründungen der Denkmaleigenschaften. Erweitert werden die Informationen zum Untersuchungsgegenstand durch die Zuordnung von Gesamtansichten, Straßen-, Platz- oder Gebäudeaufnahmen (Außen- und Innenarchitektur, Ausstattung) sowie beigefügte Übersichts-, Flur- und Denkmalkarten. Literatur-, Quellen- und Archivaliennachweise, Register und Glossare sichern die Qualität der Veröffentlichungen. Hauptautoren sind ausgewiesene Experten der Landesämter, vorrangig die Mitarbeiter der Inventarisation, welche sich mit den Kollegen der Praktischen Denkmalpflege, Bauforschung und Restaurierung abstimmen und mit spezialisierten externen Fachleuten zusammenarbeiten.

Die Denkmaltopographien der Bundesländer dokumentieren die Geschichte der Denkmalpflege und dienen der Verbreitung von Denkmalwerten. Sie ergeben ein unvergleichliches, allgemein verständliches Handbuch für Planungs- und Genehmigungsbehörden, Architekten, Studierende, Eigentümer und Heimatforscher. Die Ergebnisse der Denkmalforschung zur Architektur, Stadt-, Dorf- und Sozialgeschichte bieten die Basis für Konzepte der Erhaltungs- und Entwurfsarbeit für das historische Erbe.

Die Buchreihe ist als Basiswerk der Landesgeschichte und Landeskunde anerkannt und verliert nicht an Aktualität. Die ins Internet eingestellte Datenbank der Denkmallisten der Bundesländer erlaubt einen Überblick über den gegenwärtigen Denkmalbestand und ergänzt das Instrumentarium der Inventarisation. Stadt- und Landesverwaltungen, Archive und Bibliotheken erweisen sich als Mittler gewonnener Erkenntnisse in der städtebaulichen Denkmalpflege.

Das Beispiel Brandenburg

Nach der Wende 1989 haben nicht sofort alle neuen Bundesländer über die politischen und institutionellen Voraussetzungen für die Teilnahme am Großprojekt Denkmaltopographie verfügt. Brandenburg hat unter den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen an der Seite des Partnerlandes Rheinland-Pfalz im August 1991 zuerst ein Denkmalschutzgesetz verabschiedet. Das neu gegründete Landesamt für Denkmalpflege und Archäologische Landesmuseum im Januar 1991 erkannte frühzeitig den Rang der westdeutschen Topographiereihe und traf Vorbereitungen für den ersten Band „Stadt Brandenburg an der Havel (Dominsel – Altstadt – Neustadt)“. Das Werk von Marcus Cante wurde 1994 durch die Wernersche Verlagsgesellschaft Worms am Rhein gedruckt. Dabei war die Kartierung der Denkmale noch problematisch, weil bislang exaktes Kartenmaterial in der DDR staatliche Verschlusssache gewesen ist. Durch neue Landesvermessungen in Ostdeutschland konnten alle Kartengrundlagen aktualisiert werden.

Das Land Brandenburg hat mit eigenem Anforderungsprofil im Auftrag des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur bis Ende 2012 12 Bände Denkmaltopographien herausgegeben. Denkmalauswahl und chronologischer Aufbau der Ausgaben folgen den Grundsätzen der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger und Vorgaben des Denkmalschutzgesetzes. Dabei wurden Bearbeitungsgebiete bevorzugt, für die noch keine Kunstdenkmal-Inventare existieren. Priorität haben größere Städte, Grenzregionen und Gebiete mit hohem Investitionsdruck.

Ich selber habe bis zu meinem Ruhestand über hundert Dörfer in den Denkmaltopographien bearbeitet: Bd. 3 Stadt Frankfurt (Oder), Bd. 51 Landkreis Barnim. Stadt Eberswalde, Bd. 7.1 Landkreis Elbe-Elster und Bd. 13.1 Landkreis Ostprignitz-Ruppin,. Stadt Neuruppin.

Nach den Einleitungstexten folgen Erläuterungen zur geographischen und naturräumlichen Lage sowie zur Verwaltungsgeschichte. Aspekte der Regional- und Ortsentwicklung werden durch historische Siedlungsformen und Bautypen untermauert. Den Schwerpunkt der Topographien bilden in alphabetischer Reihenfolge Stadt- und Dorfanalysen mit Charakteristiken der Straßen, Plätze und Grünbereiche – ausgerichtet auf die Denkmale und denkmalwerten Objekte, welche gegliedert sind nach Adresse, Denkmalbezeichnung, Baugeschichte, Kurzbeschreibung, Funktion und Denkmalwert. Sakralbauten, Schlösser, Stadtbefestigungen, Mühlen, Militär- oder Industrieanlagen ohne Anschriften sind den Straßen oder Ortslagen vorangestellt.

Die Textteile werden von Abbildungen auch nicht mehr erhaltener Bauten sowie historischen Ansichten begleitet und durch ein Literatur- und Quellenverzeichnis, Fachworterklärungen und Register (Personen- und Ortsnamen) erschlossen. Unverzichtbarer Bestandteil für die Erklärung des Schutzstatus der Überlieferungen ist der Kartenanhang: eine Überblickskarte der Bundesrepublik Deutschland mit Kennzeichnung des im Band behandelten Gebietsausschnitts im Maßstab 1: 50 000 oder 100 000, Karten zu Städten im Maßstab 1:4000 oder 1:5000 und zu ländlichen Räumen im Maßstab 1:10 000 bis 25 000. Die Bereichs- und Einzeldenkmale oder zur Eintragung in die Denkmalliste vorgesehenen Bauwerke sind parzellenscharf verzeichnet und farblich abgestuft.

Eine neue Herausforderung bedeutet zunehmend die Einbindung des Denkmalbestandes der Kreise in die historisch gewachsene Kulturlandschaft. Für das Land Brandenburg sind fünfzig Bände geplant.

Der Personalabbau in den Landesdenkmalämtern erschwert eine flächendeckende, vertiefende Inventarisation und damit auch die kontinuierliche Weiterführung der Arbeit an den Denkmaltopographien. Die qualifizierte Vermittlung des im gesellschaftlichen Auftrag zu bewahrenden Kulturguts bleibt wichtige Grundlage denkmalpflegerischen Handelns.

Quellen- und Literaturhinweise

  • Bibliographie Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland (2011): Auflistung aller bisher erschienenen Bände nach Bundesländern sortiert, erarbeitet von der Arbeitsgruppe Inventarisation im Frühjahr 2011. – In: Arbeitsblatt Nr. 41 der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland, S. 1-26. – Wiesbaden.
  • Cante, M. (1992, 1993 und 2008): Denkmaltopographie Brandenburg. – Typoskript. Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, S. 1-8. – Zossen, OT Wünsdorf.
  • Echter, C.-P. (2006): Die Denkmaltopographie als Erfassungsinstrument und kulturgeschichtliches Unternehmen. – In: Deutsches Institut für Urbanistik – Beiträge zur Stadtforschung. Berichte 43 Heft 1/2006, 7 S. – Berlin.
  • Paschke, R. (2008): Grossunternehmen Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Eine Zwischenbilanz. – In: Kunst und Architektur in der Schweiz. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (Hrsg.) Heft 1/2008, S. 70-75. – Bern.
  • Richtlinien der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland zur Erstellung einer Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland (1981): In: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 39 Heft 1/1981, S. 69. – München/ Berlin.
  • Titze, M. (2011): Vom Experiment zur Schwerpunktaufgabe. Die „Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland“ – als Zukunftsprojekt. – In: Die Denkmalpflege 69 Heft 1/2011, S. 49-57. – Berlin.